Steine statt Brot – Grenzen des Zurückbehaltungsrechts bei Mängeln der Mietsache

zum Urteil des BGH vom 17.06.2015 – VIII ZR 19/14

In einer bereits 2015 ergangenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 17.06.2015 – VIII ZR 19/14), hatte sich dieser unter anderem mit der Frage befasst, in welchem inhaltlichen und zeitlichen Umfang dem Mieter neben der gesetzlich eintretenden Minderung ein Zurückbehaltungsrecht zusteht, wenn und soweit die Mietsache Mängel aufweist.

Hintergrund

§ 320 BGB gibt einem Vertragspartner das Recht, die Leistung, zu der er sich in einem Vertrag verpflichtet hat, zu verweigern, bis sein Vertragspartner die ihm obliegende Leistung seinerseits erbracht hat (soweit Ersterer nicht zur Vorleistung verpflichtet ist). Diese Regelung gilt – nicht nur, aber auch – im Mietrecht.

Nach § 536 BGB ist die Miete so lange und so weit gemindert, wie ein Mangel am Mietobjekt die Gebrauchstauglichkeit mehr als nur unerheblich einschränkt.

Hieraus wurde bisher abgeleitet, dass der Mieter bei einem Mangel nicht nur lediglich eine geminderte Miete zahlen muss, sondern zusätzlich einen sogenannten “Druckzuschlag“ einbehalten darf, bis der Vermieter das Mietobjekt in einen vertragsgemäßen Zustand versetzt hat. Der zurückbehaltene Betrag musste dann jedenfalls mit Beseitigung des zugrundeliegenden Mangels an den Vermieter zurückgezahlt werden.

Solange der Mangel nicht beseitigt ist, kommt der Mieter mit dem zurecht nach § 320 BGB einbehaltenen Mietzzins auch nicht in Verzug. Die Folge hieraus ist, dass – solange ein Zurückbehaltungsrecht wegen eines Mangels besteht und der Mangel nicht beseitigt ist – bspw. auch keine Kündigung auf die durch den Einbehalt aufgelaufenen Mietrückstände gestützt werden kann.

Sachverhalt

Die Beklagten Mieter zahlten in den Monaten März 2009 bis Oktober 2012 keine bzw. nur einen Teil der Miete. Seit dem 08.06.2009 hatte die Vermieterin dem Mieter daher mehrfach unter Berufung auf den jeweils aufgelaufenen Mietrückstand die Kündigung des Mietverhältnisses ausgesprochen. Eine Kündigungserklärung aus dem Oktober 2012 stützte sich auf Mietrückstände in Höhe von insgesamt 14.806,36 €, die seit März 2009 aufgelaufen waren. Auch während des Berufungsverfahrens kündigte die Klägerin noch einmal unter Berufung auf Mietrückstände seit Juni 2010, die zu diesem Zeitpunkt 16.201,01 € betrugen.

Die Mieter vertraten die Auffassung, dass die Miete im streitigen Zeitraum wegen eines Schimmelpilzbefalls in mehreren Zimmern gemindert gewesen sei und einem Mieter im Übrigen ein Zurückbehaltungsrecht nach § 320 BGB zugestanden habe.

Das Amtsgericht Kassel hat der Räumungsklage stattgegeben, das Landgericht hat sie unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils abgewiesen. Die Vermieterin hat die zugelassene Revision zum Bundesgerichtshof eingelegt.

Entscheidung

Der Bundesgerichtshof hat zu diesem Sachverhalt entschieden:

“(…) c) Das dem Mieter neben der kraft Gesetzes eintretenden Minderung (§ 536 BGB) zustehende Recht, die Zahlung der (geminderten) Mieter nach § 320 Abs. 1 Satz 1 BGB zu verweigern, unterliegt nach seinem Sinn und Zweck sowie unter Berücksichtigung dessen, dass das durch den Mangel der Wohnung bestehende Ungleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung durch die Minderung wiederhergestellt ist, grundsätzlich einer zeitlichen und betragsmäßigen Begrenzung.
d) Bei der gemäß § 320 Abs. 2 BGB an dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) orientierten Beurteilung, in welcher Höhe und in welchem zeitlichen Umfang dem Mieter einer mangelbehafteten Wohnung neben der Minderung (§§ 506 und 30 BGB) das Recht zusteht, die (geminderte) Miete zurückzuhalten, verbietet sich jede schematische Betrachtung. Die Frage ist vielmehr vom Tatrichter im Rahmen seines Beurteilungsermessens aufgrund der Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden. (…)”.

Zur Begründung hat der BGH ausgeführt, dass dem Mieter zwar grundsätzlich neben der Minderung auch ein Zurückbehaltungsrecht zuzubilligen sei.

Zur Frage des inhaltlichen Umfangs des Leistungsverweigerungsrechts hat der BGH zunächst ausführlich die Literaturstimmen und die bisherige Rechtsprechung dargestellt, die teilweise davon ausgehen, dass das 2 – 5fache der zur Beseitigung des Mangels erforderlichen Kosten vom Mieter als Druckzuschlag einbehalten werden könnten.

Andere Teile der Literatur und der Rechtsprechung billigten dem Mieter einen zusätzlichen Einbehalt in 2-5facher Höhe des gerechtfertigten Minderungsbetrages zu.
Ebenso gab es die Auffassung, dass der Mieter wählen könne, ob er den Einbehalt anhand der Mangelbeseitigungskosten oder des gerechtfertigten Minderungsbetrages berechnen wolle.

Auch zum zeitlichen Umfang des Leistungsverweigerungsrechts hat der BGH zunächst darauf hingewiesen, dass einige Stimmen das Zurückbehaltungsrecht immer nur für den jeweiligen Monat als bestehend erachten, während andere aufgrund der Druckfunktion einen unbegrenzten Einbehalt bis zur Wiederherstellung des mangelfreien Zustands befürworten.

All diesen Ansätzen hat der Bundesgerichtshof sodann eine Absage erteilt. Eine schematische Betrachtungsweise, die eine über den Einzelfall hinausreichende und allgemein gültige Regelung zum Ziel habe, verbiete sich, weil § 320 BGB lediglich dazu diene, vorübergehend Druck auf den Vermieter auszuüben.

Im Einzelnen heißt es in den Entscheidungsgründen:

“(…) Für die bereits abgelaufenen Zeitabschnitte verbleibt es zwangsläufig bei der mangelbedingt eingeschränkten Gebrauchstauglichkeit. Für diese abgelaufenen Zeitabschnitte ist dem Äquivalenzverhältnis aber bereits dadurch (abschließend) Rechnung getragen, dass der Mieter gemäß § 536 BGB nur eine geminderte Miete zu zahlen hat. Die Besonderheit, dass das Zurückbehaltungsrecht angesichts des Charakters der Miete als Dauerschuldverhältnis nur auf zukünftige Nutzungszeiträume abzielen kann, ist bei der Bemessung des Umfangs des Zurückbehaltungsrechts im Rahmen des § 320 Abs. 2 BGB zu beachten. Es ist daher grundsätzlich verfehlt, das Leistungsverweigerungsrecht des Wohnraummieters aus § 320 BGB ohne zeitliche Begrenzung auf einen mehrfachen Betrag der monatlichen Minderung oder der Mangelbeseitigungskosten zu bemessen.

Darüber hinaus kann das Zurückbehaltungsrecht an den laufenden Mietzahlungen redlicherweise nur so lange ausgeübt werden, als es noch seinen Zweck erfüllt, den Vermieter durch den dadurch ausgeübten Druck zur Mangelbeseitigung anzuhalten. Ist es aufgrund der Höhe des Mieteinbehalts und/oder der verstrichenen Zeit seit dem erstmaligen Einbehalt der Miete nicht mehr zu erwarten, dass der Vermieter seiner Verpflichtung auf Beseitigung des Mangels unter dem Druck der Leistungsverweigerung nachkommen wird, hat das Leistungsverweigerungsrecht seinen Zweck verfehlt, den Vermieter zur eigenen Vertragstreue anzuhalten. Mit einer weiteren Fortsetzung eines über die Minderung hinausgehenden Einbehalts würde der Zustand eintreten, dass der Mieter einen Mangel, der die Gebrauchstauglichkeit lediglich einschränkt, aber nicht aufhebt, hinnimmt, aber für einen längeren Zeitraum – im Streitfall mehr als drei Jahre – nicht die geschuldete (geminderte) Miete entrichtet. (…)”.

Anmerkung

Mit dieser Entscheidung hat der Bundesgerichtshof Mietern, Vermietern und Rechtsanwälten “Steine statt Brot” gegeben.

Bot bisher die Kenntnis der Rechtsprechung des örtlich zuständigen Amts- bzw. Landgerichts zumindest eine gewisse Sicherheit bezüglich der Frage, zu welchem Einbehalt dem Mieter geraten bzw. bei welchen Rückstand dem Vermieter zur Kündigung und zur Klage geraten werden konnte, so ist mit diesem Urteil des BGH nunmehr auch dem letzten Anhaltspunkt für eine rechtssichere Beratung der Boden entzogen.
Weder wissen Mieter nunmehr, wie lange sie in welcher Höhe neben der geminderten Miete ein Zurückbehaltungsrecht an Mietzahlungen geltend machen können, noch wissen Vermieter, ab welchem Rückstand sie rechtssicher eine Kündigung aussprechen bzw. Räumungsklage erheben können. Am Ende wird nunmehr der jeweils zuständige Richter für jeden Einzelfall eine – weder für Mandanten noch für Anwälte prognostizierbare – Entscheidung zu treffen haben.

Abgesehen von den auf diese Weise neu geschaffenen massiven Unsicherheiten für die Praxis, bestehen auch erhebliche Bedenken gegen die vom BGH herangezogene Begründung. Auch wenn die Begründung in dogmatisch nicht zu beanstandender Weise erfolgt ist und durchaus Stützen im Gesetz findet, leidet die Begründung unter inhaltlichen Schwächen.

Der Bundesgerichtshof stellt zur Begründung nämlich darauf ab, dass das Zurückbehaltungsrecht bereits dann seinen Zweck verfehle, wenn (aufgrund der Höhe des Mieteinbehalts und/oder der verstrichenen Zeit seit dem erstmaligen Einbehalt der Miete) nicht mehr zu erwarten sei, dass der Vermieter seiner Verpflichtung auf Beseitigung des Mangels unter dem Druck der Leistungsverweigerung nachkommen wird.
Mit dieser Begründung würde allerdings auch dann das Zurückbehaltungsrecht entfallen, wenn der Vermieter gegenüber dem Mieter beispielsweise ernsthaft und endgültig die Mangelbeseitigung verweigert. Auf diese Weise hätte es der Vermieter allerdings in der Hand, den Mieter durch eine entsprechende Mitteilung seines Leistungsverweigerungsrechts aus § 320 BGB von Anfang an gänzlich zu berauben.

Auch die mit dem entfallenden Leistungsverweigerungsrecht für den Mieter auftauchenden Probleme hat der BGH in seinem Urteil zwar erkannt, jedoch mit dem Hinweis beiseite gewischt, der Mieter sei trotz allem nicht rechtlos gestellt. Er könne vielmehr auf Mangelbeseitigung klagen, gegebenenfalls Schadensersatz geltend machen und in geeigneten Fällen auch von der Befugnis Gebrauch machen, den Mangel selbst zu beseitigen und Ersatz der Aufwendungen zu verlangen. Ferner habe der Mieter im Falle eines bestehenden Selbstbeseitigungsrechts einen Anspruch auf Zahlung eines Vorschusses in Höhe der zu erwartenden Mangelbeseitigungskosten, mit dem er gegen die Miete aufrechnen könne. Letztlich bliebe dem Mieter ja auch die Möglichkeit offen, die Kündigung des Mietverhältnisses auszusprechen und den daraufhin eintretenden Schaden geltend zu machen.

Bei all dem lässt der Bundesgerichtshof allerdings außer Acht, dass in nahezu allen vorbezeichneten Fällen der Mieter zumindest mit den Gerichtskosten und dem Anwaltshonorar in Vorleistung treten muss. Ob er diese Kosten am Ende des (gewonnen) Prozesses beim Gegner realisieren kann, lässt sich aber zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht absehen.
Dass der Mieter das Mietverhältnis in einer solchen Situation ggf. kündigen kann ist zwar inhaltlich richtig. Er muss es aber nicht. Und genau gegen eine Kündigung hat sich der Mieter, der von seinem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch macht. Er will die Wohnung nämlich gerade nicht verlassen, sondern einen Vertragspartner, der seine vertraglich übernommenen Pflichten erfüllt.
Auf die rechtlichen Schwierigkeiten der Realisierung eines Kündigungsfolgeschadens soll an dieser Stelle überhaupt nicht erst eingegangen werden.

Unbeachtet ist seitens des BGH auch geblieben, dass immer mehr Mietverträge Aufrechnungsverbote für bestrittene und nicht rechtskräftig festgestellte Forderungen enthalten, die zumindest im Gewerbemietrecht auch nicht von § 556b Abs. 2 BGB beschränkt werden. Ein solches würde jedenfalls dem gewerblichen Mieter die vom BGH dargestellte Möglichkeit nehmen, mit seinem Anspruch auf Vorschuss in Höhe der zu erwartenden Mangelbeseitigungskosten gegen die Miete aufzurechnen.

Letztlich überzeugt auch die Argumentation des BGH zu § 242 BGB nicht. Es ist nicht nachzuvollziehen, wieso der Vermieter, der sich fortgesetzt vertragsbrüchig verhält, indem er die Mietsache in mangelhaftem Zustand belässt, vor zu hohen Druckzuschlägen geschützt werden sollte. Richtig ist vielmehr, dass mit zunehmender Dauer des Bestehens des Mangels auch die einbehaltene Summe und damit der Druck auf den Vermieter anwächst, den Mangel zu beseitigen. Nur so ist sichergestellt, dass auch bei geringwertigen Mängeln, die den Mietzins nur in geringem Umfang mindern, der finanzielle Druck auf den Vermieter diesen irgendwann zum Tätigwerden anhält. Letztlich wachsen für den Mieter auch in gleichem Maße die tatsächlichen Unanehmlichkeiten, die kaum jemals vollständig durch die Mietminderung kompensiert werden dürften. Der Mietzins mindert sich schließlich nur im Umfang der Einschränkung der Gebrauchstauglichkeit des Objekts, nicht aber auch im Umfang der persönlichen und bspw. emotionalen Unannehmlichkeiten.

Dem Schutz des Vermieters dürfte ausreichend dadurch Genüge getan sein, dass das Zurückbehaltungsrecht jedenfalls mit Beseitigung des Mangels und/oder Beendigung des Mietverhältnisses endet.

Es bleibt festzuhalten, dass dieses Urteil des BGH keineswegs zur Klärung streitiger Rechtsfragen beigetragen hat, sondern für die Praxis ausschließlich zu erheblichen Unsicherheiten führt. Eine Änderung dieser Auffassung des Bundesgerichtshofs ist vorerst nicht in Sicht. Mieter und Vermieter sind daher wohl einmal mehr auf gesetzgeberisches Handeln verwiesen.

-Daniel Haas-
Rechtsanwalt